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„Es ist gut, Konflikte offen anzusprechen“

Die Erziehung des eigenen Kindes erscheint vielen Eltern ganz selbstverständlich. Doch dann ergeben sich Konflikte. Weil die eigenen Eltern oder Schwiegereltern eine ganz andere Auffassung haben, was Kindern gut tut. Ein neues Buch beleuchtet Erziehungskonflikte zwischen den Generationen – und erklärt, was dahinter stecken kann und wie sich Probleme lösen lassen. Ein Interview mit der Co-Autorin und Stillberaterin Anna Hofer.

Liebe Anna, du hast gemeinsam mit Karin Bergstermann das Buch „Bei meinem Kind mache ich das anders. Mit den (Schwieger-) Eltern über Erziehung reden und den eigenen Weg gehen“ geschrieben. Erzähl uns doch ein bisschen, wie es zu diesem Buch kam!

Karin und ich kennen uns schon seit vielen Jahren. Ich habe sie 2013 während meiner Ausbildung zur Stillberaterin beim DAIS (Deutsches Ausbildungsinstitut für Stillbegleitung) kennengelernt. 2019 trafen wir uns auf der FEBuB – Familienkonferenz für Elternschaft, Bindung und Beziehung. Dort kam Karin mit dem Beltz-Verlag ins Gespräch und es wurde klar, dass sie für einige Themen des Buches eine*n Co-Autor*in braucht. Karins Wahl fiel auf mich, was mich sehr gefreut hat. Karin beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Geschichte von Kindererziehung und Elternschaft, sie hatte die Idee zum Buch schon länger. Ich konnte dann meine Erfahrungen aus der Praxis beisteuern. So kamen wir schnell darauf, wie viele uralte Muster und Ansichten noch heute in den Familien herumgeistern und wie diese aktuellen Konflikte befeuern.

Karin Bergstermann, Co-Autorin von „Bei meinem Kind mache ich das anders“.

Karin hat sich den historischen Part vorgenommen: Woher kommen eigentlich diese Vorstellungen, dass Schreien gut für die Lunge sei? Dass man nicht so lange stillen sollte und das Kind nicht verwöhnen? Solche „Erziehungsratgeber“ haben nämlich eine sehr lange Tradition. Da spielten sicher auch kolonialistische Vorstellungen eine Rolle – „Affenliebe“ wurde es genannt, wenn Mütter ihre Kinder auf dem Arm tragen. Und dann gibt es ein Buch wie „Die deutsche Mutter und ihr Kind“, das bis in die 80er Jahre hinein publiziert wurde. Das ist also gar nicht weit weg von uns. In der DDR war es anders, aber ähnlich: Außerhäusliche Betreuung, früh die Flasche, Kinder mussten funktionieren. Die Crux ist natürlich der Satz „Mir hat es ja auch nicht geschadet“. Denn natürlich laufen wir nicht alle durchgängig traumatisiert herum. Aber das heißt doch nicht, dass es nicht anders geht: Eine Bindungsschwäche zum Beispiel bekommt man ja eher als Erwachsene*r später mit. Unser Buch soll dazu anregen, Dinge hinterfragen zu dürfen. Übrigens von allen Seiten.

In meinem Teil möchte ich Eltern ein festes Rückgrat und Strategien im Umgang mit Konflikten geben. Denn wir können ja nicht ausprobieren, Eltern zu sein. Von einem Tag auf den anderen müssen wir diese Rolle ausfüllen. Und dazu gehört auch, sich gesund gegenüber Kommentaren von außen abzugrenzen. 

„Wir müssen selbst aktiv werden“

Wenn es um die Schwiegereltern geht, sind solche Generationenkonflikte vermutlich noch einmal komplizierter.

Absolut! Ich werde vielleicht auch einmal eine Schwiegertochter haben. Wenn sie dann meine ebenfalls gutgemeinten Tipps nicht annimmt, da muss ich genauso aufpassen, später Grenzen zu wahren und nicht in ihr Leben hereinzureden – es kann also jedem von uns passieren. Auch denen von uns, die sich für sehr reflektiert halten. Wir haben alle individuellen Vorstellungen davon, wie alles zu sein hat. Auch die eigenen Eltern oder Schwiegereltern – und wenn die nicht erfüllt werden, dann reagieren wir oft verletzt. Auch wir haben mitunter unausgesprochene Wünsche, wie sich Großeltern verhalten sollten. Wir können aber genauso wenig unsere Eltern oder Schwiegereltern zwingen, diese Rolle so auszufüllen, wie wir es uns vorstellen. Wenn ich also möchte, dass mein Kind eine gute Beziehung zu den Großeltern hat, dann muss ich das aktiv unterstützen. Daher ist es langfristig gut und wichtig eventuelle Unstimmigkeiten und Konflikte offen ansprechen. Aber ich sollte selbst auch überlegen, wann sich das lohnt und wann nicht. 

Du sprichst jetzt oft von Müttern. Spielen die Väter keine Rolle in eurem Buch?

Natürlich nehmen wir Väter nicht aus der Verantwortung! Aber es stimmt: Die Statistik zeigt, dass die allergrößten Konflikte Mütter mit Schwiegermüttern beziehungsweise Mütter mit Töchtern auszutragen haben. Das hat natürlich damit zu tun, dass die Hauptaufgabe der Erziehung auch 2022 noch immer oder vielleicht wieder stärker Frauen zukommt. Mütter, Großmütter, Urgroßmütter tragen die größte Verantwortung – das hat man jetzt in der Pandemie natürlich auch wieder gesehen. Und wer am stärksten in die Kindererziehung eingebunden ist, der fängt an zu vergleichen. Welches Kind ist erfolgreicher? Erziehungsleistung wird auf die Goldwaage gelegt. Und wenn es die Schwiegertochter anders macht, dann fühlt man sich auf den Schlips getreten.

Trotzdem sprechen wir auch über Väter und Großväter: Wie positionieren sie sich? Sind sie solidarisch, ducken sie sich weg aus Konflikten? Männer haben oft ganz andere soziale Bewältigungsstrategien.   Großväter halten sich nicht selten aus solchen Konflikten entweder raus oder versuchen ihrer Frau solidarisch zur Seite zu stehen. Beides kann einen schwelenden Konflikt befeuern.  Auch jungen Väter fällt es oft schwer, sich klar zu positionieren. In unserem Buch gehen wir auch darauf ein. 

Du arbeitest selbst als Stillberaterin. Sind das Themen, die dir auch in deiner Praxis immer wieder begegnen?

Ja, sehr oft sogar. Am Thema Stillen entbrennen einfach viele Konflikte, die aber nicht unbedingt hier ihre Ursache haben. Deshalb sage ich meinen Klientinnen auch immer wieder: Du darfst nicht davon ausgehen, dass das, was du selbst denkst, selbstverständlich ist. Du darfst sagen, was Du brauchst. Das Stillen ist ein ganz gutes Beispiel dafür. Nehmen wir den runden Geburtstag von Tante Uschi, der groß gefeiert werden soll – Damit ich mich als Stillende dort zusammen mit den anderen Familienmitgliedern wohl fühlen kann, frage ich offen: Wo kann ich stillen? Ist es in Ordnung, wenn ich selbst bei der Location anrufen und mich erkundigen, ob es einen ruhigen Platz gibt, an den ich mich bei Bedarf zurückziehen kann?  Und wenn meine Familie mir diese Nachfragen abnehmen möchte, umso schöner. Ich habe meine Wünsche und Bedürfnisse geäußert.  

„Eine Anmerkung muss kein Angriff sein“

Es geht euch also nicht nur darum, den eigenen Weg zu bestreiten – sondern auch um Verständnis für andere in der Familie zu entwickeln. Wie kann das gelingen?

Das ist ganz wichtig! Denn unsere Eltern sind nicht mehr nur Eltern, sondern plötzlich Großeltern. Wir sind nicht nur mehr Kinder, sondern selbst Eltern. Wenn wir selbst Eltern werden setzen wir uns auch oft mit unserer eigenen Kindheit und Erziehung auseinander.  Menschen, die das Bedürfnis haben dieses Buch zu kaufen, spüren diese Diskrepanz zwischen den Generationen und wünschen sich Lösungen für ein gutes Miteinander. Ich glaube, dass dieser Prozess, die Bewertung der eigenen Kindheit und Erziehung zu erkennen und anzunehmen, mitunter auch  schmerzhaft sein kann. Umgekehrt kann man selbst nachfragen: Habe ich das überhaupt jetzt richtig verstanden? Meinst du das damit? Eine Anmerkung muss kein Angriff sein. Angst ist immer sehr subjektiv. Das merken wir jetzt auch in der Pandemie. Subjektiv empfundene Angst muss aber hinterfragt werden dürfen. Von uns und von anderen.

Nicht immer, wenn wir etwas anders machen, bedeutet das im Umkehrschluss automatisch auch eine Kritik an dem, was war. Stillen macht auch ein schlechtes Gewissen. Das dürfen wir nicht vergessen. Kinder sind oft ein Dreh- und Angelpunkt für alte Muster, die wir alle mit uns rumschleppen. Da kommen also die eigenen Ängste zu denen unserer Eltern, Schwiegereltern und dann auch noch des Partners hinzu. Ein Pulverfass, das ist doch klar! Aber es muss nicht explodieren. Stattdessen kann es eine Chance sein, mitgeschleppte Vorstellungen und selbst auferlegte Ideale zu hinterfragen.

Unser Buch bietet keine Patentrezepte. Aber wir möchten junge Eltern Stärke, Selbstreflexion und Gelassenheit vermitteln. Die Grenzen der anderen und auch die eigenen zu wahren. Im besten Fall ist unser Buch ein Impulsgeber, um sich dann im Bedarfsfall individuell Rat zu holen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Anna Hofer arbeitet als Psychologische Beraterin, Stillberaterin und Familiencoach. Sie lehrt als Referentin für verschiedene Institutionen. „Bei meinem Kind mache ich das anders. Mit den (Schwieger-) Eltern über Erziehung reden und den eigenen Weg gehen“ ist am 09.02.2022 im Beltz Verlag erschienen.

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